Ruthenien – Galizien – Ukraine

Der Konflikt mit Russland hat der Ukraine in Deutschland kontroverse, öffentliche Aufmerksamkeit beschert. Aber die Geschichte dieses Raumes reicht viel weiter zurück. Neue Forschungen sollen angestoßen und gebündelt werden.
Seit der Orangen Revolution 2004 ist die Ukraine immer wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit in Deutschland gerückt. Dabei ist erneut bewusst geworden, dass die Ukraine sowohl zum "Osten" als auch zum "Westen" Europas gehört und eine Region des kulturellen Austausches zwischen Mittel- und Osteuropa bildet. Wie auch immer die Entscheidungen der Europäischen Union über eine Mitgliedschaft oder eine bestimmte Form von Partnerschaft mit der Ukraine ausfallen werden – klar ist in jedem Fall, dass die Ukraine auch in Zukunft ein bedeutsamer Faktor der europäischen Wirklichkeit bleiben wird.
Wissenschaftliche Beschäftigung mit der Ukraine im deutschen Sprachraum
Diesem gesteigerten öffentlichen Interesse an der Ukraine steht noch keine angemessene wissenschaftliche Beschäftigung im deutschen Sprachraum gegenüber. Mit einer gezielten Bündelung der wissenschaftlichen, lehrrelevanten und praxisbezogenen Aktivitäten an der Universität Passau zu ukrainischen Themen soll ein günstiges Umfeld für weitere Forschungs- und Studienvorhaben erzeugt werden. Einschlägig sind Arbeiten aus geschichtswissenschaftlicher, literatur- und kulturwissenschaftlicher Sicht sowie Brückenschläge zu anderen Disziplinen.
Geschichte im Fokus
Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der historischen Langzeitperspektive. Das, was heute die Ukraine bildet, war in früheren Zeiten Teil der polnisch-litauischen Adelsrepublik und dann des Habsburgerreichs. Als „Ruthenien“ und später „Galizien“ ist der westliche Teil der heutigen Ukraine ein fester Teil der ostmitteleuropäischen Geschichte. Die Ostukraine, aber auch die wechselvolle Zugehörigkeit der Krim bilden eigene Problembereiche. Als klassisches Überlappungsgebiet der Kulturen waren und sind in der Ukraine – zum Teil bis heute – neben der ukrainischen auch die russische, polnische, deutsche und jiddische Sprache präsent. Und wie nur wenige andere Länder spiegelt die Ukraine die Begegnung zwischen lateinischem, griechischem und uniertem Christentum (ganz abgesehen von der Präsenz des Islams, des Judentums und historischer Sonderformen).
Prüfstein: Aktuelle Politik
Geschichte spielt auch für die gegenwärtige Ukraine eine große Rolle. Das enge und oft von Abhängigkeit geprägte Verhältnis zu Russland hält Diskussionen um frühe Formen eines ukrainischen Staates in Gang: wem „gehört“ die mittelalterliche Kiever Rus’? war das Kosaken-Hetmanat der Frühen Neuzeit ein eigener ukrainischer Staat? welche Bedeutung hat die kurze staatliche Selbständigkeit zwischen 1918 und 1920? Historische Grundlagenforschung ist hier ebenso wichtig wie der kritische Blick auf die Instrumentalisierung von Geschichte durch die Politik. Um die Beschäftigung mit der Ukraine im historischen Längsschnitt zu stimulieren, wird die akademische Lehre genauso einbezogen wie außer-universitäre Veranstaltungen für ein breiteres Publikum.
Mehr Informationen:
Projektleitung an der Universität Passau: Prof. Dr. Thomas Wünsch (Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte Osteuropas und seiner Kulturen)
Laufzeit: seit 2003